Vorgehen bei Verdacht auf Kinderhandel

Besteht ein Verdacht darauf, dass ein Kind zu Bettelei, Diebstahl, Drogenhandel, sexueller Ausbeutung oder zu anderen Formen der Ausbeutung gezwungen wurde, ist davon auszugehen, dass Kinderhandel vorliegt und eine vertiefte Abklärung nötig ist.

Zuerst muss die Situation des Kindes eingeschätzt werden. Dabei helfen folgende Fragen:

  • Wie ist das Kind in die Schweiz gelangt?
  • Woher kommt es? Über welche Route ist es eingereist?
  • Was für Reisedokumente kann es vorweisen (legale/gefälschte)?
  • Liegen Anzeichen von physischer Gewalteinwirkung vor (Verletzungen, Schmerzen, Spuren von Schlägen usw.)?
  • Liegen Anzeichen von psychischer Gewalteinwirkung vor (z.B. verängstigter, misstrauischer, apathischer oder aggressiver Zustand)?
  • Will das Kind seine Geschichte nicht erzählen aus Angst vor Drohungen oder eventuellen Repressalien?
  • Liegen Informationen über ein Kinderhandel-Netzwerk in seinem Herkunftsland vor?
  • Wie sieht das persönliche Umfeld des Kindes aus? Mit wem lebt es zusammen?
  • Besucht es die Schule?
  • Ist es besonderen Risiken ausgesetzt? Wenn ja, welchen?

Bei einem Verdachtsfall müssen die Opferberatungsstellen folgende Punkte beachten:

  • Schutz und Sicherheit des Kindes müssen jederzeit gewährleistet sein, eventuell auch der Schutz vor Familienangehörigen, falls der Verdacht besteht, dass sie in den Kinderhandel involviert sind.
  • Eine kindgerechte Unterbringung und Betreuung muss sichergestellt sein.
  • Bei der KESB ist eine Gefährdungsmeldung zu machen
  • Bei der Migrationsbehörde muss ein legaler Aufenthalt für eine Erholungs- und Bedenkzeit beantragt werden. Bei Minderjährigen dauert diese Phase länger als bei Erwachsenen: Bis eine Vertrauensbeziehung aufgebaut und stabil ist, können je nach Verfassung des Kindes Tage, Wochen oder Monate vergehen.
  • Dem Kind ist eine Vertrauensperson zur Seite zu stellen. Der Aufbau der Beziehung braucht Zeit.
  • Die Errichtung einer Beistandschaft ist erforderlich.

Die sichere Unterbringung und die adäquate Betreuung müssen jederzeit gewährleistet sein, um Druck, Drohung, Entführung oder Manipulation durch die Ausbeuterinnen und Ausbeuter zu verhindern

Grundsätze bei der polizeilichen Ermittlung und strafrechtliche Aspekte

Kommt es zu einer polizeilichen Ermittlung, gelten in Bezug auf das betroffene Kind folgende Grundsätze:

  • Dem Kind sind umfassende kinderspezifische Opferrechte zu gewähren.
  • Das Kind hat ein Recht auf Anhörung.
  • Es darf nie zu einer Aussage gegen die Ausbeuter und Ausbeuterinnen verpflichtet werden. Es gelten die Richtlinien der kindgerechten Justiz.
  • Opfer von Menschenhandel dürfen nicht für Straftaten belangt werden, zu denen sie gezwungen wurden.1
  • Kindern und Jugendlichen muss bei Verdacht auf Menschenhandel sofort der Zugang zu (spezialisierter) unentgeltlicher Rechtsberatung und unentgeltlicher rechtlicher Vertretung gewährt werden.2
  • Die Staatsanwaltschaft kann ausnahmsweise das Verfahren einstellen, wenn es nicht dem übergeordneten Interesse des Kindes entspricht.3

1 Vgl. Art. 26 ÜBM

2 Vgl. Art. 15 Abs. 2 ÜBM .

3 Vgl. 319 Abs. 2 StPO kann die Staatsanwaltschaft das Verfahrenen ausnahmsweise einstellen: wenn es das Interesse eines Opfers, das zum Zeitpunkt der Straftat weniger als 18 Jahre alt war, zwingend verlangt und dieses Interesse das Interesse des Staates an der Strafverfolgung offensichtlich überwiegt und das Opfer/dessen Eltern zustimmen.

 

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