Fallbeispiel «Opferschutz und Betreuung»

Das folgende Beispiel beinhaltet die Thematik der sexuellen Ausbeutung und des Opferschutz und der Betreuung

Als die Polizei Ana auf dem Strassenstrich kontrolliert und verhaftet, trägt sie Papiere auf sich, die sie als 25-jährige Bürgerin eines EU-Staates ausweisen. Die junge Frau steht unter grossem Druck und weiss nicht, in welchem Land sie sich befindet. Die Polizei bringt sie in die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ). Ana ist klein und zartgliedrig, sichtbar ein Kind, aber sie gibt an, dass sie 18 Jahre alt sei. Sie tritt ins Opferschutzprogramm der FIZ ein. Aufgrund ihrer Schilderungen und der Chronologie ihrer Ausbeutung wird schnell klar, dass sie höchstens 16 oder 17 Jahre alt sein kann. Zwei Jahre später erst wird Ana preisgeben, dass sie erst jetzt 18 Jahre alt geworden ist.

Ana wurde in einem afrikanischen Land geboren und bereits als Kleinkind als Hexe verschrien. Sie galt als Verursacherin aller negativen Ereignisse in der Familie und entkam nur dank der Intervention ihres Vaters der Ermordung durch Familienangehörige. Ab ihrem sechsten Lebensjahr wurde sie in fremden Familien platziert, wo sie im Haushalt arbeiten musste – waschen, kochen, einkaufen, bedienen. Das Geld, dass sie damit verdiente, kassierten ihre Eltern ein. Ana erfuhr bereits früh psychische, physische und auch sexuelle Gewalt. Als sie 14 Jahre alt war, entschied ihre Familie, sie nach Europa zu schicken – in die Obhut der Tochter einer Nachbarin. Das Kind wurde in einem traditionellen Ritual in Todesangst versetzt und musste unter grössten Drohungen schwören, die von den Eltern eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten. Schlepper brachten Ana schliesslich nach Libyen und von dort über das Mittelmeer nach Italien. Sie beuteten sie auf der ganzen Reise sexuell aus, und während der Überfahrt im Boot wurde sie kurz vor dem Kentern gerettet. Unter Zwang und ständiger Kontrolle musste sich Ana in Italien prostituieren. Ihre «Schulden» bei der Tochter der Nachbarin, so wurde ihr beschieden, beliefen sich auf mehrere Zehntausend Euro. Ihre Eltern setzten sie immer wieder unter Druck und machten ihr Angst: Wenn sie ihre Schulden nicht begliche, drohe der ganzen Familie Unheil. Von Italien schickte die Täterschaft Ana in die Schweiz, wo sie auf dem Strassenstrich aufgegriffen und zur FIZ gebracht wurde.

Zwei Jahre später wohnt Ana in einem betreuten Wohnheim. Sie würde gerne arbeiten und zu ihrem Unterhalt etwas beitragen. Der Kontakt mit der Familie ist unterbunden, die Täterschaft allerdings auf freiem Fuss. Ana hat mit den Strafverfolgungsbehörden zusammengearbeitet, das Strafverfahren in der Schweiz wurde jedoch sistiert, da sich die Haupttäterschaft nicht in der Schweiz befindet. Die Bedrohung durch die Täter ist immer noch real, und Ana lebt in ständiger Angst. Eine Rückkehr ins Herkunftsland ist völlig unzumutbar. Die junge Frau würde umgehend in die Arme der Menschenhändler zurückgetrieben. Sie hat eine Härtefallbewilligung für die Dauer von fünf Jahren in einem Schweizer Kanton erhalten.

shopping_cart
Zum Warenkorb
0