Fallbeispiel «Asylverfahren»

Sexuelle Ausbeutung, das Asylverfahren sowie das Dublin-Drittstaatenverfahren wird mit folgendem Beispiel verbildlicht.

Alma wird in einem Aussenbezirk von Nampula, einer Stadt in Mosambik, geboren. Sie wächst mit drei jüngeren Geschwistern, zwei Cousins und ihren Eltern auf, die im Strassenverkauf arbeiten. Almas Vater hat einen Bekannten, Len, der in Europa lebt, aber immer mal wieder nach Nampula reist. Dieser rät ihm, sein Haus zu verkaufen und seine Kinder nach Europa zu schicken – sie würden dann sehr bald schon Geld verdienen und nach Hause schicken können. Aus der Not heraus und in der Hoffnung, dass Alma in Europa eine Schule besuchen und danach gutes Geld verdienen kann, folgt Almas Vater dem Rat und verkauft das kleine Haus, um die Kosten für Almas Reise zu finanzieren – sie ist mit 15 Jahren die älteste Tochter und soll als Erste gehen. Len organisiert für Alma einen Pass und ein Visum für Portugal; darauf steht ein falscher Name und statt des Jahrgangs 2004 der Jahrgang 1997.


Alma und Len fliegen über Portugal nach Zürich. Dort bringt Len Alma in ein Hotel, wo sie essen und übernachten. Am nächsten Morgen zeigt er ihr ein Video mit pornografischem Inhalt und sagt ihr, das sei die Arbeit, die sie nun verrichten müsse. Alma wehrt sich und sagt, das sei nicht so ausgemacht gewesen. Sie ist entsetzt: Len zeigt sich von einer ganz neuen Seite, er ist nun nicht mehr der nette Freund ihres Vaters, sondern vergewaltigt sie brutal. Danach zwingt er sie, ihre Mutter anzurufen und ihr zu sagen, dass es ihr gut gehe und dass sie schon bald mit der Schule anfangen und Geld schicken könne. Tagsüber ist Len oftmals über längere Zeit weg und sperrt Alma im Hotelzimmer ein. Er kommt mit Männern zurück, die Alma bedienen muss. Sie wehrt sich verzweifelt, aber Len droht ihr, dass er sonst bei seinem nächsten Besuch in Mosambik ihrer jüngeren Schwester etwas antun würde. Sie muss mit fremden Männern schlafen, Len sackt das Geld ein.


Nach ungefähr zwei Wochen gelingt Alma die Flucht aus dem Hotelzimmer, als eine Putzfrau das Zimmer reinigen will. Das Mädchen rennt auf die Strasse, läuft verzweifelt in der Dunkelheit herum und wird bestohlen. Schliesslich trifft es auf ein Portugiesisch sprechendes Paar. Die beiden nehmen Alma mit zu sich nach Hause und bringen sie am nächsten Tag ins Asylzentrum. Ihre Rechtsvertreterin nimmt mit der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) Kontakt auf, da Alma sehr verstört ist und nicht erzählen kann, was ihr geschehen ist. Auch bei den Beratungsgesprächen mit der FIZ braucht es viele Pausen, viel Raum und Zeit für Alma, damit sie langsam Vertrauen aufbauen kann. Es geht ihr sehr schlecht, sie macht sich grosse Sorgen um ihre Familie und darüber, ob Len seine Drohungen wahrmacht. Die erlebte Gewalt und vor allem die Erkenntnis, dass Len sie getäuscht hat und gar kein Freund der Familie ist, lasten schwer auf Alma.


Da sie auf ihrem Pass erstmals in Portugal und mit Geburtsdatum 1997 registriert wurde, veranlasst das SEM einen Nichteintretensentscheid gemäss Dublin-III-VO. Erst nach mehrfachem Insistieren der Rechtsvertretung und der FIZ sieht das SEM vorerst von einer Dublinrückführung ab. Alma ist inzwischen mit einer Psychiaterin vernetzt und hat ein gutes Verhältnis zu ihrer Rechtsvertreterin, der sie sehr vertraut.

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