Empfehlungen an das Parlament zur Herbstsession 2018

Bundesgesetz über die Verbesserungen des Schutzes gewaltbetroffener Personen: Kinderschutz Schweiz unterstützt die Revision

  • Herbstsession 2018: Empfehlungen an das Parlament
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Kurzempfehlungen Nationalrat

17.062 Geschäft des Bundesrats 18.09.2018

Schutz gewaltbetroffener Personen. Bundesgesetz

Der Bundesrat will Opfer von häuslicher Gewalt und Stalking besser schützen. Im Oktober 2017 verabschiedete er die Botschaft zu verschiedenen Anpassungen des Zivilgesetzbuchs (ZGB), der Zivilprozessordnung (ZPO), des Strafgesetzbuchs (StGB) und des Militärstrafgesetzes (MStG). Die Vorlage ermöglicht namentlich eine elektronische Überwachung von Personen, gegen die aufgrund von Gewalt, Drohungen oder Stalking ein Rayon- oder Kontaktverbot angeordnet wurde. Zudem sollen prozessuale Hürden im zivilrechtlichen Gewaltschutz abgebaut werden: So sollen Personen, die mit dem Gewaltschutz betraut sind, die nötige Weiterbildung erhalten. Den Opfern sollen keine Gerichtskosten mehr auferlegt werden, und sie sollen nicht mehr die ganze Verantwortung des Entscheides über eine Sistierung oder Einstellung eines Strafverfahrens tragen müssen. Der Ständerat ist in der Sommersession 2018 auf die Vorlage eingetreten und hat den Entwurf mit Änderungen angenommen. Nun berät der Nationalrat die Vorlage.

Kinderschutz Schweiz empfiehlt, auf die Vorlage einzutreten und den Entwurf mit den nachfolgenden Anpassungen anzunehmen. Anpassungen für einen wirksamen Kinderschutz Die Situation von Kindern, die direkt oder indirekt von häuslicher Gewalt betroffen sind, gilt es im Kontext häuslicher Gewalt stets in den Fokus zu rücken. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Revision des Bundesgesetzes über die Verbesserung des Schutzes gewaltbetroffener Personen stärkt in weiten Teilen die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls im Sinne von Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention. Beispielsweise begrüsst es Kinderschutz Schweiz sehr, dass be- schuldigte Personen künftig für die Zeit der Verfahrenssistierung verpflichtet werden können, an einem Lernprogramm gegen Gewalt teilzunehmen (vgl. Änderung StGB, Art. 55a Abs. 2). In den folgenden Punkten verpasst es der Erlassentwurf jedoch, die Belange der betroffenen Kinder genügend zu regeln und Kindeswohlgefährdungen abzuwenden.

Prozessuale Anpassungen zum Schutz der Kinder › Art. 28b Abs. 3bis ZGB: Kinderschutz Schweiz spricht sich dafür aus, dass Gerichtsentscheide anderen Behörden zwingend mit- geteilt werden, wenn Minderjährige betroffen sind und wenn es dem Schutz und dem Interesse des Kindes dient. Die in Art. 28b Abs. 3bis ZGB vorgesehene Relativierung «[...] soweit dies zu deren Aufgabenerfüllung [...] dient» sollte daher gestrichen werden. › Art. 28b Abs. 4 zweiter Satz ZGB: Gemäss Bundesratsentwurf sollen die Kantone neu für die Weiterbildung der Personen sorgen, die mit dem Gewaltschutz betraut sind. Die Betroffenheit von Kindern im Kontext elterlicher Paargewalt wird heute bei der Durchsetzung von Schutzmassnahmen oft nicht berücksichtigt. Kinderschutz Schweiz fordert daher, dass die Weiterbildung betreffend Kinder, die von elterlicher Paargewalt betroffen sind, explizit gesetzlich verankert wird. Der Ständerat hat beschlossen, diesen Passus zu streichen. Kinderschutz Schweiz bedauert dies sehr und bittet Sie eindringlich, dem Vorschlag des Bundesrates und ihrer Rechtskommission zu folgen. › Art. 55a Abs. 1 StGB: Kinderschutz Schweiz bedauert, dass gemäss aktueller Vorlage bei der Verfahrenssistierung nicht mehr explizit geprüft werden muss, ob Kinder betroffen sind und ob das Kindeswohl gefährdet ist. Das Kindeswohl muss bei Entscheiden, die Kinder betreffen, vorrangig berücksichtigt werden (Art. 3 UN-KRK). Die Bestimmung, wonach die Betroffenheit von Kindern beim Sistierungsentscheid berücksichtigt werden müssen, muss daher in Art. 55a Abs. 1 lit. c explizit in das Gesetz aufgenommen werden. › Art. 55a Abs. 5: Die Vorlage sieht in der jetzigen Form nicht vor, dass Staatsanwaltschaft oder Gericht die Opfer anhören müssen, bevor sie den Entscheid über die Beendigung eines Verfahrens nach einer Sistierung treffen. Da Kinder von diesem Entscheid direkt betroffen sind, sind diese vor der Beendigung des Verfahrens durch geschulte Personen anzuhören (Art. 12 UN-KRK). Beim Entscheid ist das übergeordnete Kindeswohl zu berücksichtigen.
17.058 Geschäft des Bundesrates 27.09.2018

Fernmeldegesetz. Revision

Der Bundesrat will mit der vorliegenden Revision des Fernmeldegesetzes dem rasanten Wandel in der Telekommunikation Rechnung tragen. Sie soll ausserdem einen wirksamen Wettbewerb beim Erbringen von Fernmeldediensten sowie einen ausreichenden Schutz der Benutzerinnen und Benutzer vor Missbräuchen garantieren. Das Gesetz bezweckt neu insbesondere, Kinder und Jugendliche vor den Gefahren der Fernmeldedienste zu schützen. Der Nationalrat berät den Erlassentwurf in erster Lesung.

Kinderschutz Schweiz empfiehlt, auf die Vorlage einzutreten und den Entwurf mit der folgenden Änderung anzunehmen.

Aus Sicht von Kinderschutz Schweiz trägt die Revision des Fernmeldegesetzes zu einem verbesserten Kinderschutz bei. Kinderschutz Schweiz begrüsst speziell, dass der Bundesrat mit Artikel 46a Abs. 1 eine klare Kompetenz zum Erlass von Kinder- und Jugendschutzregeln erhält. Es ist zudem wichtig und richtig, dass Anbieterinnen von Fernmeldediensten neu gesetzlich verpflichtet werden, den Zugang zu illegaler Pornografie und Kinderpornografie zu sperren. Sperrungen allein sind aber nicht genug. Um dem Kindeswohl wirksam zu entsprechen, braucht es die Löschung der kinderpornografischen Inhalte. Mit einer Löschung wird einerseits der Kinderpornografiemarkt ausgetrocknet und andererseits wird das missbrauchte Kind davor geschützt, dass weitere Täter die verbotenen Inhalte anschauen. Kinderschutz Schweiz empfiehlt deshalb den Vorschlag der Fernmeldekommission des Nationalrats zur Annahme. Dieser Vorschlag ergänzt richtigerweise die Sperrungen mit Massnahmen zur Löschung von verbotenen pornografischen Inhalten. Damit Kinderpornografie aber überhaupt erfolgreich bekämpft werden kann, muss die Polizei von deren Existenz erfahren. Heute kann ein Endnutzer Verdachtsmomente direkt der Polizei melden. Viele Leute fürchten aber den Gang zur Polizei. Deshalb fordert Kinderschutz Schweiz, dass die zuständigen Stellen verpflichtet werden, eine Meldestelle für Kinderpornografie und andere illegale Pornografie einzurichten oder zu diesem Zweck mit Dritten zusammenzuarbeiten. Bei Verdacht auf illegale pornografische Inhalte ist das Bundesamt für Polizei zu benachrichtigen. Meldestellen und die Meldepflicht tragen massgeblich zur Identifizierung und Verminderung von Kinderpornografie bei und treiben somit den Kinder- und Jugendschutz voran.
16.3695 Postulat Feri 17.09.2018

Anstossfinanzierung für Unterkünfte für von häuslicher Gewalt betroffenen Personen

Mit dem Postulat wird der Bundesrat eingeladen, zu prüfen, ob eine Anstossfinanzierung durch den Bund, so wie sie zur Finanzierung von Kitas praktiziert wird, eine Option für Frauen-, Kinder- und Männerhäuser wäre.

Kinderschutz Schweiz empfiehlt die Annahme des Postulats 16.3695.

Häusliche Gewalt stellt in der Schweiz ein grosses gesellschaftliches Problem dar. Vor Gewalt Flüchtende finden Schutz und professionelle Betreuung in den 18 Frauenhäusern und in noch weniger Mädchen- und Männerhäusern. Gemäss einer Studie im Auftrag der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren haben Frauenhäuser aber regelmässig mit mangelnden Ressourcen und Kapazitätsengpässen zu kämpfen. Aufgrund dessen leidet einerseits die Qualität der Betreuung und andererseits stehen zu wenige Plätze für gewaltbetroffene Personen zur Verfügung. So müssen jährlich Hunderte von Frauen ab- oder weitergewiesen werden, bis schlussendlich eine Lösung für die gewaltbetroffenen Personen gefunden werden kann. Frauen- und Männerhäuser beherbergen – trotz ihrem Namen – zu mehr als der Hälfte Kinder, die dort zusammen mit einem Elternteil Schutz finden. Durch Artikel 23 der Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) ist die Schweiz verpflichtet, die Einrichtung von geeigneten Schutzunterkünften in ausreichender Zahl zu ermöglichen. Eine Anstossfinanzierung durch den Bund für Frauen-, Kinder- und Männerhäuser ermöglicht in allen Teilen der Schweiz eine bessere und professionelle Betreuung und eine ausreichende Anzahl von Plätzen für gewaltbetroffene Personen und damit auch Kinder.

Kurzempfehlungen Ständerat

17.497 ParlamentarischeInitiative 18.09.2018

WBK-N. Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung. Verlängerung des Impulsprogramms des Bundes

Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N) will das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung über den 31. Januar 2019 hinaus um vier weitere Jahre verlängern. Mit dem Impulsprogramm des Bundes wird das Ziel verfolgt, die Schaffung von Tagesbetreuungsplätzen für Kinder zu fördern und den Eltern so zu ermöglichen, Familie und Beruf oder Ausbildung besser miteinander zu vereinbaren. Die WBK-N hat dazu einen Erlassentwurf erarbeitet, dem die WBK des Ständerats und der Nationalrat bereits zugestimmt haben. Der Ständerat berät den Erlassentwurf nun in erster Lesung.

Kinderschutz Schweiz empfiehlt, der Initiative Folge zu geben und dem Erlassentwurf zuzustimmen.

Familien- und schulergänzende Kinderbetreuungsangebote sind Orte der frühen Förderung, in denen alle Kinder integriert und in ihrer Entwicklung gefördert werden. Das Impulsprogramm des Bundes ist für die Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung ein Erfolg. Aus Sicht von Kinderschutz Schweiz ist es wichtig, dass mit dem quantitativen Ausbau auch eine qualitative Weiterentwicklung einhergeht. Die Qualität der Angebote familien- und schulergänzender Kinderbetreuung spielt eine entscheidende Rolle für die positiven Bildungseffekte auf die Kinder. Die parlamentarische Initiative der WBK-N fordert zwar in erster Linie einen quantitativen Angebotsausbau. Gleichzeitig wird jedoch die Qualität der Betreuungseinrichtungen in zweierlei Hinsicht gefördert: (1) Die finanzielle Unterstützung ermöglicht es Betreuungseinrichtungen, in die Qualität zu investieren. (2) Die Eltern erhalten die Möglichkeit, die Betreuungseinrichtung aufgrund von Qualitätsmerkmalen zu wählen. Eine solche Wettbewerbssituation wirkt sich günstig auf die Qualität der Betreuung aus.
15.4229 Motion Herzog. 18.09.2018

ADHS ist keine Krankheit. Die wirklichen Ursachen müssen nun angepackt werden.

Der Bundesrat wird beauftragt, dafür zu sorgen, dass die wirklichen Ursachen, die sich hinter der «Diagnose» ADHS verbergen, angepackt werden und damit die viel zu hohe Verschreibungspraxis in der Deutsch- und Westschweiz massiv reduziert wird.

Kinderschutz Schweiz empfiehlt, die Motion anzunehmen.

Kinderschutz Schweiz distanziert sich vom Titel der Motion, nicht aber vom Anliegen des Vorstosses. Die Ursachen der zunehmenden Medikation mit Ritalin und ähnlichen Medikamenten bei nicht fachärztlich diagnostiziertem ADHS sollen ermittelt werden. Gemäss der Einschätzung von Fachärztinnen und Fachärzten werden viele Kinder mit anderen hyperaktiven Verhaltensstörungen von Kinder- und Hausärzten mit Ritalin und ähnlichen Medikamenten behandelt, obwohl kein ADHS gemäss den gültigen Kriterien hat diagnostiziert werden können. Diese inadäquaten Verschreibungen müssen – was auch im Sinne der Motionärin ist – verhindert werden. Im Februar 2015 hat der UN-Kinderrechtsausschuss die Schweiz in seinen Empfehlungen zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention (Concluding Observations) ausdrücklich auf Missstände im Bereich der Ritalin-Medikation hingewiesen. In seiner Empfehlung zur psychischen Gesundheit (Empfehlung 61) betont der Kinderrechtsausschuss die Wichtigkeit einer Aufklärung der Öffentlichkeit (insbesondere der Eltern, Lehrer und anderer Berufsleute aus dem Gesundheits- und Bildungsbereich). Es sollte vermehrt auch Forschung über nicht medikamentöse Behandlungsformen und die Ursachen der Unkonzentriertheit der Kinder in Klassenzimmern betrieben werden.
16.3911 Motion und 18.3707 Motion 19.09.2018

WBK-N. Zugewanderte Jugend- liche zum Abschluss auf der Sekundarstufe II führen und WBK-S. Integration von spät zugewanderten Jugendlichen

Mit der Motion 16.3911 will die WBK-N den Bundesrat beauftragen, die Zuständigkeit für die Umsetzung und Finanzierung von Bildungsmassnahmen für spät zugewanderte Jugendliche und junge Erwachsene gemeinsam mit den Kantonen zu klären und die Bundesbeiträge an die Integrationsleistungen, die durch die Regelstrukturen im Bildungsbereich erbracht werden, substanziell zu erhöhen. Die Finanzierung der zusätzlichen Integrationsleistungen soll über das Budget des Staatsekretariats für Migration garantiert werden. Der Nationalrat hat der Motion bereits zugestimmt. Die WBK-S empfiehlt die Motion nun zur Ablehnung, da sie mit der Verabschiedung der Integrationsagenda weitgehend erfüllt sei. Die Integrationsagenda wurde am 30. April 2018 von Bund und Kantonen verabschiedet und soll im Frühjahr 2019 umgesetzt werden. Sie bezweckt, Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen rascher in die Arbeitswelt zu integrieren. Im Gegenzug hat die Kommission im Juni 2018 die Motion 18.3707 eingereicht, die den Bundesrat beauftragt, gemeinsam mit den Kantonen eine Lösung für die Integration von spät zugewanderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus EU-, EFTA- und Drittstaaten zu erarbeiten, die sich in der Zielsetzung an der Integrationsagenda orientiert. Die beiden Motionen werden gemeinsam behandelt.

Kinderschutz Schweiz empfiehlt die Annahme beider Motionen.

Gerade das postobligatorische Bildungssystem mit seiner Flexibilität und Durchlässigkeit bietet beste Voraussetzungen, um auch spät zugewanderten Jugendlichen einen Abschluss auf Stufe Sek. II zu ermöglichen. Dies entspricht dem Recht der Kinder unter 18 Jahren, einen diskriminierungsfreien Zugang zu Bildung zu haben und bestimmte Schulbildungsziele zu verfolgen (Art. 28 und 29 UNO-Kinderrechtskonvention). Der Abschluss einer Ausbildung ist zentral für die Integration in die Arbeitswelt und schützt Jugendliche auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten vor Arbeitslosigkeit und Armut. Aus diesen Gründen begrüsst Kinderschutz Schweiz die Motion 16.3911. Kinderschutz Schweiz empfiehlt die Motion 18.3707 ebenso zur Annahme. Es ist zu begrüssen, dass auch für spät zugewanderte Jugendliche, die über das Ausländerrecht und nicht über das Asylrecht einwandern, Lösungen für die Integration erarbeitet werden sollen. Denn gemäss Artikel 28 der UNO-Kinderrechtskonvention haben alle Kinder – unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus – ein Recht auf Bildung.
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